GedichteJahr 2013

Gedichte – Limericks – Japanische Tanka-Gedichte – Schaffensperiode September 2013




Die Uhr an der Wand

Ich wollte sie schon längst abhängen,
aber ich habe immer einen Grund gefunden,
es nicht zu tun.

Zu beschäftigt
Zu müde
Sonntags, da arbeite ich nicht!

Nun hängt sie also immer noch an der Wand.
Irgendwie vorwurfsvoll
Als würde sie mir vorhalten, dass ich untätig bin!

Das Ticken ist mir seit jeher auf die Nerven gegangen.
Tick, Tack
Eine Qual

Es ist eine von den älteren Uhren,
diejenigen,
deren Sekundenzeiger
jeden Schritt
akustisch ankündigen.

Es erscheint mir wie eine Kampfansage:
Ich ticke noch!
Immer noch
Hol mich doch von der Wand!

Da kommt mir ein Einfall:
Ich warte solange, bis die Batterie leer ist.
Dann habe ich auf ganzer Linie gewonnen!





Eine Armee mit Spitzhacken

Tagaus, tagein
die Spitzhacke in der Hand,
von oben nach unten geschlagen
in den trockenen Boden.

Auf Dauer ein schweres Gewicht,
die Arme lahm und voller Schmerzen,
die Sonne knallt erbarmungslos
auf die Reihen der Arbeiter.

Ein Gleisbett entsteht.
Eine Armada von
Spitzhacken saust hernieder.
Eine Armee von Eisenbahnarbeitern

Hartes Brot
für die Geburt
der Eisenbahnstrecke,
teuer erkauft
für die Sklaven
der Konzerne.

Doch die Spitzhacke
bewegt sich immer weiter,
sie schlägt auf, in die Erde,
erhebt sich, um wieder zu sinken.

Von Weitem
sieht das Ganze
federleicht aus.





Ramses und Anubis

Ramses ist das Oberhaupt,
Anubis hat ihm stets vertraut.
Die beiden sind ein gutes Gespann,
verhängen so manchen bösen Bann,
doch haben sie zu nah am Nil gebaut.





Die Widerstandskämpferin Boadicea

Boadicea organisiert den Widerstand,
denn die Römer gewinnen die Oberhand.
Das Imperium übernimmt die Macht
und patrouilliert Tag und Nacht.
Ihr Beitrag für den Sieg ist signifikant.





Der einsame Ankläger

Allein gegen alle,
auf weiter Flur.

Anklage vorbereiten,
Schlappe kassieren
vor Gericht.

Viele Anwälte auf der Gegenseite,
gut bezahlt,
noch besser vorbereitet,
kaum Chancen.

Zeugen fallen weg,
kippen um,
erinnern sich nicht mehr.

Gedächtnislücken
schnell und groß.

So kann man nicht gewinnen,
nichts ausrichten,
keine Veränderung.

Und selbst, wenn man es schafft:
Milder Richterspruch
Bewährungsstrafe
Die 30. Chance

Neue Opfer,
doch die interessieren niemanden,
keine Lobby,
kein Gehör.

Kollateralschäden des Systems,
ignoriert von allen,
vergessen von jedem.
Alleingelassen,
wie der Staatsanwalt.





Heizung im Zimmer

Hat man keine Heizung im Zimmer,
sorgt die Kälte für viel Gewimmer.
Es ist die warme Luft, die wärmt,
für die man auch im Sommer schwärmt.
Wer Bodenheizung hat, ist der Gewinner.





Hefte die Papiere ab

Hefte die Papiere ab,
sonst fliegen sie herab.
Alles ist dann durcheinander,
nichts hält man mehr auseinander.
Gut, dass ich Ordnung hab.





So schillernd, so grün
(japanisches Tanka-Gedicht)

Im Sonnenschein blinkt,
vier Flügel schimmern grünlich,
so schillernd vertraut.

Viele Flugzeuge wären
neidisch auf die Libelle.





Isabelle de France in England

Von Frankreich nach England geht Isabelle,
die ist anfangs in Staatsgeschäften nicht sehr helle.
Doch sie lernt schnell und umfangreich,
wie man regiert das englische Reich.
Und ist dann rechtzeitig zur Stelle.





Die gläserne Bar

Die gläserne Bar
steht an der Ahr.
Dieser besondere Ausschank
verdient großen Dank.
Er nur einmal da war.





Eisen und Kohle

Kohle und Eisen, mehr 300 Jahre lang,
in vielen Regionen Europas,
Zwillinge einer Revolution,
die in England ihren Anfang nahm.

Kohle und Eisen,
Bergbau und Schächte,
Türme, stählerne Monster,
Staub und Ruß,
ein Landstrich wurde verändert,
industriell geprägt, eintönig, trist,
kein Himmel zu sehen.

Die Industrielandschaft,
durch Menschen geprägt,
prägte sie selber,
Glanz und Elend, beides zugleich,
auch für die Menschen immer dabei.

Zechen und Hüttenwerke,
Monumentalbauten einer Epoche,
als Museum erhalten,
bisweilen Weltkulturerbe dazu.





Das quietschende Gartentor

Das Gartentor ist am Quietschen,
beim Öffnen und beim Schließen.
Dieser nervende Krach,
ist eine störende Sach:
Man muss nur Öl ins Scharnier gießen.





Ein Sohn aus den Südstaaten

Ein Plantagenbesitzer ist sein Vater,
nach West Point gehen zu dürfen, bat er.
Dort will er werden Offizier,
er arbeitet wie ein Stier.
Zurück daheim leidet er an Alkoholkater.





Das Skelett im Schatten
(japanisches Tanka-Gedicht)

Skelettierter Rest
Er war ein stolzer Kranich.
Diese Zeit ist um.

Zurück bleibt eine Hülle,
ein Schatten früherer Pracht!





Antimonopolistische Gefühle

Große Konzerne zerschlagen?
Und dann verteilen alle Einlagen?
Alle Aktien verkaufen?
Alles werfen über den Haufen?
Was ist mit den Klagen?





Dieselbe Diplomatenrede

Stets schwingt er dieselbe Rede,
bemüht vor dem internationalen Gremium dieselben Worte.
Dies führt schon zu so mancher Fehde
Und Verdruss an diesem hohen Orte.

Die Diplomaten sind sich einig
Dieses Vorgehen sind sie leidig.
So viel Faulheit zeugt von Hohn,
dies verkündeten sie in scharfem Ton.

Der faule Diplomat ward gezwungen
Zur Feder zu greifen und notgedrungen
viele neue schöne Worte zu finden,
um sich aus der diplomatischen Affäre zu winden.





Im virtuellen Kriegseinsatz

Der Publisher Activision hatte eine Vision:
Eine gefährliche Call of Duty-Mission.
Das Kriegsszenario wechselt oft,
man bei jedem Auftrag auf ein gutes Ende hofft.
Eine riesige Fangemeinde ist der Lohn.





Der Kopierladen

An der Glaswand aufgereiht die ganzen Kopierer,
seitlich daran die Papiersortierer.
Feinstaub fliegt durch die Luft,
in dieser Toner-Papier-Gruft.
Im Müll liegen die Falsch-Kopien-Verlierer.





Die Remer

Wer gerne in Belgien siedelt,
sein Bildnis im Wasser spiegelt,
der nächste belgische Nachbar von Gallien ist,
der die Zivilisation nicht unbedingt vermisst.

Mit anderen Belgern weiter im Norden,
und wieder anderen Barbarenhorden,
machen sie öfters gemeinsame Sache,
doch endet nicht alles in zufriedener Lache.

Mal werden auch Geiseln genommen,
man reagiert nicht immer besonnen,
mal ist die Freundschaft zerronnen,
mal spielen sie zusammen die Frommen.





Unvollständige Spurenbeseitigung
(japanisches Tanka-Gedicht)

Verschwinden wollen
sie nicht, die Blutflecken, sie
prangen überall.

Ihre Beseitigung bleibt
ein Ding der Unmöglichkeit.





Freude in der Savanne
(japanisches Tanka-Gedicht)

Die Hitze verdrängt.
Die Savanne leidet sehr.
Nur eine mag es.

Wer der Freund der Sonne ist,
wird sich gut zurechtfinden.





Der Vorsitzende Richter

Der ehrenwerte Vorsitzende Richter
kommt der Sache bald auf den Trichter.
Er durchschaut das Spiel beider Seiten
und möchte zum schnellen Ende leiten.
Daher mimt er nun den Schlichter.





Färbe dir deinen Schopf

Färbe dir deinen Schopf,
wie einen bunten Knopf.
Mache dir die Haare farbig,
mit Strähnen optisch narbig.
Ein richtig farbenfroher Schopf.





Das Gefühl beim Ertrinken

Nach dem waghalsigen Wassersprunge
keine Luft mehr in der Lunge,
der Körper sich ganz verkrampft,
der Überlebenskampf ist so unsanft,
doch schafft er es an die Oberfläche der Junge!





Eine Branche erhebt sich

Krisengeschüttelte Branche
So krisenerprobt,
dass sie sich schnell erholt.

Denn es geht weiter:
Der Wettbewerb,
die Konkurrenz,
das Geschäft schläft nie.

Und so erhebt sie sich.
Steht wieder auf,
macht weiter,
da wo andere,
sie längst
totgesagt hatten.

Totgesagte Branchen
leben länger.
Wirtschaftliche Wiederauferstehung





Der schweigsame Indianer Tahohon

Der Indianer Tahohon ist schweigsam
und mit dem, was er hat, genügsam.
Er ist ein guter Kämpfer,
verpasst vielen einen Dämpfer.
Ermordet wird er grausam.





Das neu gestrichene Schlafzimmer

Das neu gestrichene Schlafzimmer
sorgt für viel Farbengewimmer.
Eine Tapete in Purpur,
und man wacht nur.
Was für ein Farbflimmer!





Die Abfrage

Der Lehrer fragt die Schüler ab,
geht den Raum hinauf, hinab.
Jeder kommt einmal dran
und kann zeigen, ob er was kann.
Die Chancen sich zu blamieren, sind nicht knapp.





Der geschwungene Pflastersteinweg

Mühsam verlegt,
das sieht man.

Keine einfache Arbeit,
leicht geschwungen,
der Weg hat nette kleine Kurven,
die an Beeten vorbeiführen.

Pflasterstein-Charme
Steinig geschwungene Abkürzung
mitten durch den Garten

Ein Weg ohne Wiederkehr:
Wer weiß,
wo man
nach der ersten
Abzweigung landet?

Irgendwo im Garten
Nirgendwo im Leben

Der Garten der tausend Wege,
er führt vorbei
an den Blumen und Sträuchern.

Wo ist das Ende?
Wohin führt er mich?
Wo ist der Anfang?
Kann ich zurückgehen?

Ich drehe mich um.
Hinter mir endet
der Pflastersteinweg,
so als hätte
er nie existiert.





Der Schlosspark Versailles
(japanisches Tanka-Gedicht)

Unendlich grüne
Flächen bis zum Horizont.
Ein Kreuz aus Wasser.

Naturprunk bis ins Detail,
dem Sonnenkönig gemäß.





Die Bestätigung der Behäbigkeit
(japanisches Tanka-Gedicht)

Sein faules Wesen
haftet ihm unleugbar an,
in jeder Faser.

Wozu sich groß anstrengen,
wenn Faulheit doch funktioniert?





Apfel im Schlafrock

In Zuckerwasser gegart,
im Schlafrock erstarrt.
Eine vortreffliche Süßspeise,
eine kulinarische Reise,
ohne Rückfahrt.





Die Leiche des Großvaters

Sandra sieht ihres Großvaters Leiche.
In ihr steigt Angst auf und eine Bleiche.
Als panische Bäckerin ruft sie die Polizei,
doch die hängt beim Mord mit dabei.
Mit dem Anruf stellt sie sich selbst die tödliche Weiche.





Fahren, sehen und gesehen werden

Täglich als Chauffeur
sehe ich viele Menschen
Von vorn durch einen Spiegel
Ich sehe sie spiegelverkehrt

Alles ist eigentlich auf der anderen Seite
Aus links wird rechts, aus oben wird unten
Die Spiegelbilder trügen
Der Spiegel lügt

Er gibt vor ein genaues Abbild zu liefern
Doch er verdreht die Realität
Er verzerrt alles

Ich müsste mich nur umdrehen
und schon könnte ich die Fahrgäste,
so wahrnehmen, wie sie sind.

Doch der Spiegel sagt mir, nach vorne zu schauen.
Ich solle mich ja nicht umdrehen.
Auf den Anblick sei ich nicht vorbereitet.





Die weibliche Note

Etwas mehr exquisite Eleganz,
etwas mehr rosafarbene Substanz,
vielmehr schick
nicht so viel Technik
und modernen Firlefanz!





Ein Ausflug nach Sanktuario

Sanktuario, so heißt die Welt,
die Millionen Spieler gefällt.
Der Dämon Diablo muss besiegt werden.
Es helfen Schreine und Seltene Erden.
Nur so ist dann der Fluch zerschellt.





Fahrstil offenbart Persönlichkeit
(japanisches Tanka-Gedicht)

Rücksichtslos rasen
oder hoffnungslos warten?
Man fährt, wie man lebt.

Charakter sitzt am Steuer.
Eigener Kopf fährt stets mit.





Das Ende im Kochtopf
(japanisches Tanka-Gedicht)

Es endet dann hier.
Im brühend heißen Kochtopf.
Der Hummer sieht rot.

Wie konnte der Ozean-
bewohner im Topf sterben?





Illegale private Nutzung

Die Büroräume privat zu nutzen,
lässt so manchen Bekannten stutzen.
Doch wissen wir uns nicht anders zu helfen,
denn andere Lösungen boten sich selten.

So zogen wir dort ein,
wo zuvor nie jemand war daheim.
Gemütlich die Räumlichkeiten hergerichtet,
alle Arbeitsspuren restlos vernichtet.

Doch bleibt es ein Provisorium,
das Esszimmer gleich mehr einem Refektorium.
Hoffentlich finden wir bald eine andere Bleibe,
auf dass die Suche uns nicht ewig vorantreibe.





Der Mauszeiger

Auf dem Bildschirm flimmert der Mauszeiger,
versteckt sich wie ein ganz Feiger.
Ein hohes Dreieck, ein kleiner Stängel,
der Mauszeiger reagiert nicht, dieser Bengel.
Ausgedient hat er als Anzeiger.





Der hessische Söldner oder der kopflose Reiter

Im Unabhängigkeitskrieg kämpfte ein Söldner aus Hessen,
der war auf Kampf und Blut sehr versessen.
In den nördlichen Bergen wurde er gerichtet,
doch ohne Kopf er sein blutiges Tagwerk verrichtet.
Die Besitzerin des Schädels ist besessen.





Der Thunfisch aus der Dose
(japanisches Tanka-Gedicht)

Trauriges Schicksal:
Von grenzenloser Freiheit
ist gar nichts mehr da.

Reduziert auf die Büchse
Konserviert in der Sauce





Steht er wirklich über den Dingen?

Über den Dingen,
über den Fraktionen,
den Parteien,
der Politik,
da sollte er stehen.
Zumindest in der Theorie

Viele vor ihm standen ganz unten,
schnell beleidigt
oder Hände öffnend,
sich aushalten lassend,
des Amtes nicht würdig.
Das wollte er nicht.

Das Amt beschädigt,
als er es übernahm,
musste es reparieren,
es herrichten,
aufpolieren,
zu neuem Glanz verhelfen.

Das ist ihm gelungen.
Harter Weg,
doch Ziel erreicht.

Das Volk
und das Amt
danken ihm.

Endlich wieder ein Würdiger,
einer, der den Titel verdient:
Bundespräsident
Das Oberhaupt der Republik

Auch wenn in der Realität
seine Macht stark begrenzt ist,
ein Symbol
Zeichen der Würde
und Unparteilichkeit.
Wie wohl sein Nachfolger sein wird?





Der Illusion ein Gesicht geben

Make-up
das A und O
Alpha und Omega

Das kleine Einmaleins
für das Gesicht.

Sie kennt alles
Visagistin von Beruf
Liebe zum Beruf

Eigentlich ideal,
doch kaum beachtet,
wenig Aufmerksamkeit,
kaum Dank,
so gut wie keine Anerkennung.

Dabei lastet das alles auf
der einen,
die eine.

Wer sorgt fürs Aussehen?
Vor der Kamera?
Wer gibt den Promis ein Gesicht?

Wer macht sie akzeptabel,
gutaussehend
und das auch bei Gesichtern,
wo eigentlich kaum etwas zu holen ist.

Nur sie!
Sie macht es möglich,
gibt Chancen,
Preise,
goldene Kameras,
Oscars.

Ohne Make-up?
Die Welt würde erkennen,
nichts steht dahinter.

Hollywood-Illusion
Nur normale Menschen,
noch nicht mal das.

Zusammenbrechendes Kartenhaus
Zerbrochener Spiegel

Kaputte Illusion,
krankes Geschäft,
sie macht es möglich.





Die Bratwurst

Die Bratwurst lecker braun gebraten,
auf die möchte man gerne warten.
Das Grillen gibt ihr erst Geschmack,
das Aroma ist dabei auf Zack.
Viel leckerer als jeder Braten.





Von der Unausweichlichkeit eines Kampfes
(japanisches Tanka-Gedicht)

Sie tragen ihn aus.
Den Kampf zwischen den beiden.
Keiner gewinnt hier.

Ausgeschlossen von Natur
gibt es keinen Sieger mehr.





Das Schwert im Rachen

Das Schwert
Symbol der Macht

Reiche gegründet
und untergegangen
mit ihm.

Die Klinge,
der Schaft,
die Parierstange
und doch:
Nicht nur zum Kämpfen geeignet,
zum Schlucken auch.

Der Schwertschlucker zeigt’s.
Die Klinge hinab
in seinen Schlund,
die ganze Klinge,
alles weg.

Unglaublich und verstörend
und doch,
es geht;
er zeigt es ja
dem ungläubigen Publikum.

Die Klinge nicht scharf,
sonst ginge es nicht.
Selbstmord die Konsequenz

Der Würgereiz im Griff,
unter Kontrolle,
den Rachen hinab.

Schwer zu machen,
einfach zu erklären,
wirkungsvoll in der Show.
Das Schwert geschluckt,
verzaubert jeden Einzelnen.





Schluss

© 2021 Michael Stern https://www.lyrissima.de